So unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Arten, Alkohol oder Drogen zu konsumieren. Entgleitet der Konsum, wird zum Missbrauch oder zur Abhängigkeit, entsteht bei manchen der Wunsch nach einer Veränderung. Auch Menschen, die eine Abstinenz anstreben, haben in der Regel den (scheinbar) paradoxen Wunsch, weiter Substanzen gleicher oder anderer Art konsumieren zu können, ohne die negativen Folgen erleiden zu müssen.
Der Klient bestimmt das Ziel
In meine Praxis kommen Menschen, die im Berufsleben stehen und häufig über eine gute soziale und familiäre Einbindung verfügen. Mein Klientel lässt sich grob in zwei Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe besteht aus den chronischen "Zuvieltrinkern". Es liegt dann ein risikoreicher und selbstgefährdender Konsum vor, der als Missbrauch oder als Abhängigkeit diagnostiziert wird. Bei der Arbeit mit den Klienten ist ausschließlich das von ihnen formulierte Ziel relevant, das sie nach ausreichenden Informationen über gesundheitliche, soziale und psychologische Folgen formulieren. Ziele können sein: Abstinenz, Reduktion, Abstinenzzeiten mit "Konsuminseln", kontrollierter Konsum in verschiedensten Variationen. Gemein ist allen Vorhaben, eine Kontrolle über das eigene Konsumverhalten zu gewinnen, sich vom Missbrauch, bzw. der Abhängigkeit hin zu einer Selbstbestimmung im Konsum mit einer deutlich reduzierten gesundheitlichen und psychischen Selbstgefährdung zu entwickeln. Insgesamt dient der Beratungsprozess der Förderung der Lebensqualität und des Lebensgenusses.
Die zweite Gruppe speist sich aus Menschen, die gemeinhin als "Quartalstrinker" bezeichnet werden. In diesen Fällen liegt ein exzessiver Konsum vor, der in mehr oder weniger größeren Intervallen auftritt. Hier spielt aus Sicht der Klienten der gesundheitliche Aspekt eine eher untergeordnete Rolle. Es sind vielmehr die familiären, sozialen und beruflichen Konsequenzen, die als Motive für eine Veränderung des Konsums dominant sind.
Wie verläuft ein Beratungsgespräch - zwei Beispiele
Zur Veranschaulichung zwei Beispiele von Beratungsverläufen, deren Korsett das "Programm des Kontrollierten Trinkens" ist.
Ein Unternehmer in den Vierzigern konsumiert in Intervallen Alkohol in der Kombination mit Kokain. Dabei kommt es mitunter zu verbaler Aggression seiner Frau und anderen Personen gegenüber. Am Tag darauf, manchmal auch an mehreren, konsumiert der Klient dann weiter Alkohol, teils um die negative Folge des Katers abzumildern, teils um Selbstvorwürfe wegen seines Verhaltens zu reduzieren. Da die Intervalle relativ groß sind (ca. einmal monatlich), sind aus Sicht des Klienten die gesundheitlichen Aspekte bei seiner Veränderungsmotivation nachrangig. Seine Partnerin ist beim Vorgespräch dabei und beschreibt die Konsumproblematik aus ihrer Sicht. Sie macht deutlich, dass sie das Konsumverhalten ihres Mannes nicht auf Dauer tolerieren werde. Der vorrangige Wunsch des Klienten ist, in Intervallen und zu besonderen Anlässen weiter konsumieren zu können, ohne die Kontrolle zu verlieren. Wichtig sei ihm der Wunsch nach Begrenzung sowie das sichere Vermeiden von unerwünschtem Verhalten (verbale Aggression, körperliche Auseinandersetzungen). Die eigene Motivation ist gemischt mit dem Druck seiner Partnerin, die ihre Geduld als ausreichend strapaziert beschreibt. Der Klient erlernt das Trinken nach Plan. Umrechnung des Konsums in sogenannte Standardeinheiten, Abstinenztage, Wochen- und Tageshöchstmengen sind strukturierende Elemente des Wochenplans, dessen Erfüllung oder Nichterfüllung Thema der Sitzungen sind. Die Korrelation von Alkohol und Kokain (Kokain wird von dem Klienten nicht häufiger als 12 Mal jährlich konsumiert, so seine Festlegung, die aufgrund des hohen Suchtpotentials überaus notwendig ist) wird mit dem Klienten ausführlich analysiert und besprochen.
Bei diesem Klienten spielt der Konsum von Alkohol und Drogen in Hinsicht als Vehikel zur Bewältigung negativer Gefühlslagen keine Rolle. Er neigt dazu, wenn Probleme in der Familie oder in seiner Firma auftreten, abstinent zu sein und die Belastungen mit Energie und Kreativität anzugehen. Er verfügt über ein gutes Maß an Selbstbewusstsein und eine robuste Psyche. Der Konsum ist Ausdruck seines Wunsches nach exzessivem Feiern und im Falle des zusätzlichen Konsums von Kokain dem Genuss von intensiven Sex. Er strebt einen Konsum an, der durchaus als "Wirkungskonsum" bezeichnet werden kann, aber immer aus seiner Sicht "im Rahmen" bleibt. Im Rahmen bedeutet kein fortgesetzter Konsum an den folgenden Tagen, kein Abgleiten in einen veränderten Tag/Nachtrythmus, Begrenzung des Konsums (Alkohol und Kokain) auf vorher festgelegte reduzierte Mengen, keine verbalen Aggressionen.
Die Konsumevents werden mit dem Klienten detailliert geplant, Selbstkontrollstrategien vereinbart. Bisher gelang es ihm, den vereinbarten Konsum einzuhalten, diesen sogar geringfügig zu unterschreiten.
Dieses Beispiel mag verdeutlichen, was eine individualisierte Beratung, die die Persönlichkeit und die Ressourcen berücksichtigt und zu nutzen weiß, vermag. Anderen Klienten wäre bei gleichem Konsum dringend zu einer Abstinenz zu raten.
Hier noch ein weiteres Beispiel aus meiner Beratungsarbeit. Ein ca. 30jähriger gutaussehender, gesund und vital wirkender Mann (Studienrat an einem Gymnasium) kommt in meine Praxis und berichtet, ihm sei vor ca. einem Jahr sein Führerschein wegen Alkoholkonsum entzogen worden. Er sei nun 1 Jahr abstinent gewesen, habe die MPU erfolgreich bestanden und seinen Führerschein wiedererlangt. Er befürchte nun, da er wieder Alkohol trinken dürfe, ohne Beratung erneut in einen unkontrollierten Konsum abzugleiten. Im Laufe der Zusammenarbeit stellt sich heraus, dass er einem ausgesprochenen "Feierkonsum" huldigt. Das kontrollierte Trinken kleiner Mengen mit seiner Freundin oder mit Mitgliedern seiner Herkunftsfamilie gelingt problemlos. Als Risikosituationen definiert er das Trinken mit Freunden, Beginn der Ferien. Der Klient neigt in seinem beruflichen und privaten Leben zur Übererfüllung von Erwartungen, ist so "Everybody´s Darling" mit einem Defizit in seiner Fähigkeit, sich abzugrenzen und andere Menschen zu enttäuschen. Das Trinken hat die Funktion, sich selbst zu belohnen und aus der Rolle zu fallen. Während des Beratungsprozesses hat der Klient einen Ausrutscher, der 6 Tage lang andauert und in einer Entgiftungsstation endet. Dieser Ausrutscher erweist sich dann im Nachhinein als Glücksfall, da in der Analyse das im Vorherigen Beschriebene vom Klienten erarbeitet wird. Verschiedene im Zusammenhang mit seinem "Ausrutscher" notwendig zu erreichende Ziele und Strategien werden mit ihm festgelegt, nämlich die Verbesserung der Abgrenzungsfähigkeit (Ablehnen von zusätzlichen Aufgaben in seiner Arbeit als Lehrer, Abgrenzung von seiner Herkunftsfamilie, die ihn überfürsorglich belagert), Verzicht auf Alkohol, wenn er sich mit seinen Freunden trifft oder Abgrenzung von "Freunden", die sein neues Trinkverhalten mit Aufforderungen zu desavouieren versuchen, Planen von alternativen Selbstbelohnungen und Entspannungsmöglichkeiten bereits im Vorfeld von Risikosituationen (z.B. Ferienbeginn), Etablierung von Sport im Alltag, Strategien nach einem Ausrutscher, diesen am nächsten Tag zu beenden, etc. Dem Klienten gelang in der 4-monatigen Beratung eine gute und stabile Kontrolle seines Alkoholkonsums.
Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein
Nicht für jeden sind nach meiner Erfahrung und Bewertung Programme der Konsumreduktion und -kontrolle geeignet. Voraussetzung sind persönliche Ressourcen sowie eine gute Integration in ein berufliches, soziales und familiäres Umfeld. Im Erstgespräch muss dies gründlich eruiert werden.