Zweifelsohne ist das Erlangen und Bewahren der Abstinenz die Königsdisziplin und in Anbetracht der toxischen Wirkung von Alkohol und Drogen die beste Lösung. Alkohol ist ein Zellgift, es gibt fast kein Organ, das nicht durch Alkohol geschädigt werden kann. Betroffen sein können Leber, Bauchspeicheldrüse, Gehirn, Nerven, Herz, Verdauungstrakt, Immunsystem und Körperzellen (erhöhtes Krebsrisiko). 

Auch die negativen Konsequenzen des Konsums von  Drogen sind in gesundheitlicher, psychischer, beruflicher und sozialer Hinsicht mannigfaltig und teilweise schwerwiegend. 

Von dem hochschwelligen Angebot der Suchthilfe, die in der Regel immer noch ausschließlich  abstinenzorientiert ist, wird nur ein kleiner Teil der Alkohol- und Drogenkonsumenten angesprochen. Der überwiegende Anteil bleibt ohne Ansprache. Der Anspruch der Abstinenz geht an den Bedürfnissen vieler Alkohol- /Drogenmissbraucher und - abhängiger vorbei. Das "Kontrollierte Trinken" bzw. das Programm "Kompetenz im selbstbestimmten Substanzkonsum" schließen die Lücke zwischen Anspruch und der Realität der betroffenen Personen. Ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit ist die Vermittlung von Grundinformationen über Alkohol und/oder Drogen. Für meine Klienten hat die toxische Wirkung häufig nur einen geringen Stellenwert. Die gesundheitliche Schädigung wird häufig bagatellisiert bzw. billigend in Kauf genommen, relativiert. 

Meine Aufgabe besteht darin, diesen Aspekt bewusster zu machen. Eine Klientin, die ihren Wochenkonsum von 35 Standardeinheiten (entspricht 35 Gläsern mit 0,2 Liter Wein oder 35 0,5 Liter Flaschen Bier) auf 14 Standardeinheiten erfolgreich reduziert hatte, sagte mir während unserer Zusammenarbeit immer wieder, für sie sei absolut vorrangig, nicht mehr abhängig zu sein. sondern selbstbestimmter zu konsumieren. Kritiker könnten nun einwenden, dass der Konsum von 14 Standardeinheiten für eine Frau immer noch viel zu hoch ist. Damit haben sie vollkommen recht. Allerdings ist eine geringere Schädigung der Organe und eine höhere Lebensqualität erreicht worden. 

Wichtig ist mir in der Arbeit mit Klienten, sie respektvoll zu behandeln und das bedeutet auch immer, ihre Ziele ernst zu nehmen, auf Moralisierungen zu verzichten und wie in diesem Fall einerseits den guten Erfolg anzuerkennen, aber auch die reduzierte jedoch immer noch vorhandene Selbstschädigung kritisch zu benennen.

Die Programme führen zu unterschiedlichen Reduktionen, in der Regel konsumieren die Klienten am Ende des Programms wöchentlich noch zwischen 4 und 15 Standardeinheiten. Die wöchentlichen Konsummengen zu Beginn des Programms oszillieren zwischen 30 und 70 Standardeinheiten. Ist aus meiner Sicht und aus Sicht des Klienten das Vorhaben, den Konsum zu reduzieren und zu kontrollieren, nicht erreichbar, breche ich die Beratung ab und spreche eine Abstinenzempfehlung (d.h. in der Regel die Durchführung einer stationären Entwöhnungsbehandlung inklusive einer qualifizierten Entgiftung) aus. Bisher war dies nur einmal der Fall.